Episode 19 – Female Leadership bei Gérard Caravaning

Juni 2025 – Die Günther Rid Stiftung für den bayerischen Einzelhandel stellt die 19. von vielen bayerischen Erfolgsgeschichten vor. Dieses Mal im Fokus: Marie Gérard führt das Familienunternehmen Gérard Caravaning in dritter Generation – und hat es in wenigen Jahren strategisch und strukturell neu aufgestellt.

Marie Gérard führt seit 2021 Gérard Caravaning in der dritten Generation. Sie prägt die strategische Ausrichtung des Unternehmens und legt Wert auf einen klaren und wertschätzenden Führungsstil.
Marie Gérard führt seit 2021 Gérard Caravaning in der dritten Generation. Sie prägt die strategische Ausrichtung des Unternehmens und legt Wert auf einen klaren und wertschätzenden Führungsstil.

Im Februar 2015 steht Marie Gérard auf der Freizeitmesse f.re.e in München. Am Messestand von Gérard Caravaning, dem Familienunternehmen ihres Vaters, hilft sie für ein paar Tage aus. Inmitten glänzender Wohnmobile und neugieriger Besucher*innen spürt sie etwas, das sie nicht erwartet hat: Begeisterung. Die Atmosphäre, der direkte Kundenkontakt und die Zusammenarbeit im Team ziehen sie in den Bann. Klaus-Wilhelm Gérard erkennt es sofort: „Meine Tochter hat Feuer gefangen.“ Und in Marie wächst die Gewissheit: Sie will im Familienbetrieb eine entscheidende Rolle übernehmen.

Das Portfolio des Caravaning-Spezialisten umfasst den An- und Verkauf, die Vermietung, den Service sowie Umbauten von Wohnwagen und Reisemobilen.
Das Portfolio des Caravaning-Spezialisten umfasst den An- und Verkauf, die Vermietung, den Service sowie Umbauten von Wohnwagen und Reisemobilen.

Für jeden Gast das richtige Angebot
Bei Gérard Caravaning im oberbayerischen Peißenberg finden Caravan- und Camping-Begeisterte alles, was das Herz begehrt. Die Kund*innen heißen Gäste und werden auch so behandelt. „Als Reisemobilspezialist fühlen wir uns dem Tourismus nah“, erklärt die geschäftsführende Inhaberin Marie Gérard lächelnd. „Der Caravan ist das fahrende Hotel“.

Mit 40 Mitarbeiter*innen betreut die Wohnwagen Gérard GmbH 9.000 Gäste, viele kennt man schon lange. Sie kommen aus einem Umkreis von über 150 Kilometern, auch aus Österreich. „Sind die Großeltern zufrieden, kommen die Enkel auch zu uns“, erklärt Geschäftsführer Klaus Ostenrieder. Verkauft wird ohne Druck – ein Reisemobil ist schließlich keine Jeans. „Zögert der Gast, sagen wir: Das Angebot steht, schlafen Sie einmal drüber.“ Unerfahrenen Kaufinteressenten wird vorgeschlagen, ein Fahrzeug zu mieten, um ausprobieren, wie sich das Reisen mit einem Caravan anfühlt.

Der mehr als 400 Quadratmeter große Zubehör-Shop bietet alles, was das Leben als Camper angenehmer macht: Möbel, Vorzelt-, Haushalts- und Grillzubehör sowie technisches Equipment.
Der mehr als 400 Quadratmeter große Zubehör-Shop bietet alles, was das Leben als Camper angenehmer macht: Möbel, Vorzelt-, Haushalts- und Grillzubehör sowie technisches Equipment.

Im großen Zubehör-Shop lässt sich in Ruhe stöbern, während in der Werkstatthalle gebrochene Achsen oder Wasserschäden fachmännisch repariert werden. „Unser Service ist ein wichtiges Standbein. Dank eigener Schreinerwerkstatt können wir Reisemobile komplett zerlegen und wieder zusammenbauen“, erklärt Marie Gérard. Alles sei möglich: Austausch von Seiten- und Heckwänden, Decken und Böden, die Installation von Solar-, Klima- oder Alarmanlagen. 50 Sanierungsaufträge über den Winter sind keine Seltenheit. Gérard Caravaning handelt außerdem mit Gebrauchtfahrzeugen – ein Geschäftszweig, der in Zukunft wichtiger werden könnte.

Zum maßgeschneiderten Service des Hauses zählen die Instandhaltung, sämtliche Garantiearbeiten, Reparaturen, TÜV-Abnahme, die Dichtigkeitskontrolle sowie Ein- und Umbauten.
Zum maßgeschneiderten Service des Hauses zählen die Instandhaltung, sämtliche Garantiearbeiten, Reparaturen, TÜV-Abnahme, die Dichtigkeitskontrolle sowie Ein- und Umbauten.
Sind mit viel Leidenschaft für ihre Gäste da: Geschäftsführer Klaus Ostenrieder, Inhaberin Marie Gérard und Seniorchef Klaus-Wilhelm Gérard (v.l.).
Sind mit viel Leidenschaft für ihre Gäste da: Geschäftsführer Klaus Ostenrieder, Inhaberin Marie Gérard und Seniorchef Klaus-Wilhelm Gérard (v.l.).

Wie alles anfing: Wohnwagen-Ei trifft auf legendäres Verkaufstalent
Heiß begehrt wäre heute das Fahrzeug, mit dem alles anfing: der eiförmige Mini-Wohnwagen Eriba von Hymer. Marie Gérards Großvater Willi schaffte ihn Ende der 1950er als Alternative für Zelt und Zeltanhänger an. „Mein Vater war leidenschaftlicher Camper“, erzählt Klaus-Wilhelm Gérard, der die Firma bis 2021 leitete. „Er bemitleidete alle, die ins Hotel gingen.“

1966 kommt ein großer Wohnwagen der Firma Bürstner auf den Stellplatz, verhandelt von Willi Gérard persönlich. Er erzählt dem Inhaber, er wolle einen Wohnwagenhandel aufbauen, und bekommt dafür einen guten Preis. In Wahrheit ist er sich noch gar nicht sicher, ob er diesen Weg wirklich gehen will. Kleiner Schwindel oder großer Traum: „Der Bürstner Delfin stand jedenfalls nur zwei Tage auf der Straße, dann war er verkauft. Das war die Initialzündung“, sagt Klaus-Wilhelm Gérard schmunzelnd.

Willi Gérard startet mit Werkstatt, kleinem Büro und zwei Mitarbeitern. Der Wohnwagenhandel läuft gut an, neue Marken wie Sprite und Wilk kommen hinzu, das Personal wird aufgestockt. „Mein Vater war ein unglaubliches Verkaufstalent. Selbst im Urlaub hat er Wohnwagen verkauft – an die Leute auf dem Zeltplatz.“

135 Kilometer Geschichte
Als 1977 der Platz im Ort nicht mehr reicht und die Firma in die Aichstraße zieht, sind Wohnmobile wie etwa von Arca aus Italien schon im Sortiment und stetig auf dem Vormarsch. Der Gründer beweist Weitsicht und stellt sich − anders als viele Mitbewerber, die nur auf Wohnmobile setzen – mit Wohnmobilen und Wohnwägen weiterhin breit auf. 1982 ist Klaus-Wilhelm Gérard an der Reihe. Die Nachfolge ist ein logischer Schritt. „Schon als Gymnasiast habe ich mitgearbeitet und mich für den Verkauf interessiert.“

Ein Glücksfall in dieser Ära ist die Einstellung von Klaus Ostenrieder, selbst ein begeisterter Camper. 1992 beginnt er als Buchhalter, steigt auf zum Verkaufsleiter und Geschäftsführer und wächst dabei zu einer unverzichtbaren Stütze des Betriebs, die wie ein Familienmitglied angesehen wird. 2021 rechnete er sämtliche Verkäufe in Kilometer um: Stellte man die Wohnwagen in eine Reihe, würde die Schlange von Peißenberg bis zum Brenner reichen. Marie Gérard schätzt seine langjährige Erfahrung sehr: „Klaus ist Mister Caravan, mehr Wissen über das Thema kann man nicht haben. Wir ergänzen uns perfekt.“

Klaus Ostenrieder ist auch in seiner Freizeit leidenschaftlicher Camper. Sein Know-how und seine langjährige Erfahrung sind im Unternehmen von zentraler Bedeutung.
Klaus Ostenrieder ist auch in seiner Freizeit leidenschaftlicher Camper. Sein Know-how und seine langjährige Erfahrung sind im Unternehmen von zentraler Bedeutung.

Ein Generationenwechsel, der nicht im Drehbuch steht
Marie Gérard, aufgewachsen zwischen blitzendem Chrom und Camper-Flair, hatte bis 2016 kaum Ahnung vom Geschäft. „Für mich war die Firma keine Option, meine Familie hat das auch nicht erwartet“, erzählt sie. Nach der Schule studiert sie Medienmanagement, jobbt im Büro von Peter Maffay, wird nach dem Studium fest angestellt. „Ich habe alles gemacht, Autogrammpost, Assistenz, Tourbegleitung.“ Nach dem erfolgreichen Aufbau von Tabaluga Enterprises folgte eine Phase der Selbstreflexion. „Wir verstanden uns gut, aber ich wollte Neuland betreten“, sagt die heute 37-Jährige.

Auf der Münchner Reise- und Freizeitmesse f.re.e erlebt Marie hautnah, dass bei Gérard Caravaning unendliche Möglichkeiten und Chancen auf sie warten. „Ich habe zu meinen Eltern gesagt: Wenn ihr mich braucht, komme ich. Ich kann mir vorstellen, die Firma zu übernehmen.“ Sie kündigt und fängt im Oktober 2016 im Betrieb an. „Keiner in meinem Umfeld hat das verstanden. ‚Wie, du verkaufst jetzt Portapotti?‘, hieß es. Caravans waren damals nicht cool.“

Gesucht: Ausbildung zur Unternehmerin
Sie sieht das anders. Allerdings hat sie größten Respekt vor der Unternehmerrolle, zumal sie die Aufgabe so begreift: Sie muss die Firma personell, strukturell und strategisch neu aufstellen, um sie in die Zukunft zu führen. „Einfach loslegen und darauf vertrauen, dass das in der Familie schon klappt, damit hätte ich mich nicht wohlgefühlt“, sagt Marie Gérard. „Mir war klar: Diese Verantwortung kann ich nur tragen, wenn ich die Kompetenz habe. Ich brauche zwei bis drei Jahre Zeit und eine Ausbildung.“

2019 fügt sich alles mit dem Tipp einer Freundin: Die Rid Stiftung bietet die ideale Qualifizierung. Marie Gérard bewirbt sich für das Förderprogramm „Unternehmensführung im Handel“. Dass es ihr ernst ist mit der Nachfolge, merkt die Rid Stiftung schon an den Unterlagen. Doch die Kandidatin überzeugt auch persönlich. „Marie Gérard zeigte sich selbstreflektiert, lernbegeistert, wertschätzend und sehr klar“, sagt Prof. Heike Schinnenburg, Trainerin bei der Rid Stiftung. Zwei Jahre wird die Nachfolgerin in spe nun intensiv von unterschiedlichen Trainer*innen in allen relevanten Bereichen der Unternehmensführung berufsbegleitend geschult.

Wissen und Werkzeuge für neue Strukturen
Das Kennzahlen-Modul lässt Marie Gérard jede romantische Vorstellung von Unternehmertum vergessen. „Als ich mich mit den Zahlen beschäftigte, habe ich erst begriffen, was das alles bedeutet.“ Sie saugt das Wissen auf, adaptiert, was relevant ist für ihre Praxis und plant Veränderungen. Werkzeuge für Planung interessieren sie ebenso wie Personalführung.

Sie wird noch die Seminare „Entwicklungslinien der Unternehmer*innen-Persönlichkeit“ und „Geschäftsmodellanalyse“ absolvieren, um persönliche und strategische Potenziale auszuloten. „Ein tolles Team hat uns gecoacht“, resümiert Marie Gérard. „Ohne die Ausbildung hätte ich diesen Schritt nicht gewagt.“ 2021 wird die Übergabe gefeiert.

Ein Miteinander auf Augenhöhe mit viel Selbstverantwortung: Die Zusammensetzung des Teams hat sich in den letzten Jahren stark verändert.
Ein Miteinander auf Augenhöhe mit viel Selbstverantwortung: Die Zusammensetzung des Teams hat sich in den letzten Jahren stark verändert.

Der neue Führungsstil: Verantwortung statt Organigramm
Seitdem ist bei Gérard Caravaning alles im Fluss. „Ich habe mich sehr intensiv mit dem richtigen Führungsstil beschäftigt: Womit fühle ich mich wohl?“, erzählt Marie Gérard. Pflegte ihr Vater einen eher hierarchischen Stil − „da gab es auch viele Bauchentscheidungen“ − setzt sie auf klare Strukturen und Eigenverantwortung. „Damit Mitarbeiter Eigenverantwortung übernehmen können, bieten wir die besten Leitplanken.“ Wie ein Zeichen für die neue Zeit ist der mächtige Chefschreibtisch aus Eiche verschwunden, das Geschäftsführungszimmer ist wohnlich, die Büroflächen werden modern, für Gäste gibt es angenehme Wartebereiche. „Gerade schaffen wir mehr ruhige Räume, damit wir uns alle wohlfühlen.“

Ein Firmenhandbuch mit den Werten des Unternehmens, Bestandteil des Arbeitsvertrags, hält die Grundlagen der Zusammenarbeit fest. „Nicht jeder kommt mit Eigenverantwortung gleich zurecht, aber das war uns sehr wichtig.“ 80 Prozent der Stellen sind daher heute von neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern besetzt, die Belegschaft ist jünger geworden. Und wie findet man geeignete Fachkräfte? „Uns interessiert, ob jemand menschlich passt.“ Bewerber*innen durchlaufen ein zweistufiges Auswahlverfahren, das Team entscheidet mit. Gleichzeitig hält man engagierte Mitarbeiter*innen, wie den Monteur, der zum Automobilkaufmann umschulte, und baut junge Talente auf. So bereitet sich der 28-jährige Verkaufsleiter Ludwig Kagel mit einer Weiterbildung der Rid Stiftung aktuell auf mehr Verantwortung vor. An seinem Arbeitgeber schätzt er die familiäre, freundschaftliche Zusammenarbeit: „Ich bekomme viele Freiräume und möchte den Wandel des Unternehmens mitgestalten.“

Den Wandel mitgestalten: Vertriebsleiter Ludwig Kargl durchläuft momentan das Qualifizierungsprogramm „Unternehmensführung im Handel“ der Rid Stiftung.
Den Wandel mitgestalten: Vertriebsleiter Ludwig Kargl durchläuft momentan das Qualifizierungsprogramm „Unternehmensführung im Handel“ der Rid Stiftung.

Doppelspitze für Tagesgeschäft und Strategie
Die Jahresplanung ist heute ein professioneller Prozess. Durch eine flache Hierarchie mit Bereichsverantwortlichen hat die Geschäftsführung Verantwortung abgegeben. „Die Bereiche legen ihre Zahlen selbst fest, jeden Monat werden sie ausgewertet. Diese Konzernstruktur im Kleinen macht uns flexibler“, erklärt Marie Gérard. Auch strategisch wird justiert, die Werkstatt vergrößert, die Vermietung skaliert. Der Switch von „Wohnwagen Gérard“ auf „Gérard Caravaning“ manifestiert die Positionierung als Vollanbieter.

Eine Sache hat Marie Gérard gleich geklärt. „Ich bin keine Einzelkämpferin, sondern brauche einen Sparringspartner, der meine Pläne mitträgt.“ Daher die Doppelspitze mit Klaus Ostenrieder, der für die Verantwortung des operativen Geschäfts ebenfalls Impulse aus dem Qualifizierungsprogramm „Unternehmensführung im Handel“ mitnehmen konnte. „Klaus arbeitet in, ich an der Firma.“ Der Senior ist als Finanzverantwortlicher noch an Bord und stolz auf die Tochter: „Marie hat das Unternehmen völlig neu aufgestellt.“ Klaus Ostenrieder ergänzt: „Sie steckt tief in den Zahlen und behält den Überblick.“

Souverän agieren in einer Männerdomäne
Kurzfristige Projekte, schnell persönliche Beziehungen aufbauen – die dynamische Medienbranche hat Marie Gérard geprägt. Die Reisemobilbranche tickt anders, ist technisch, konservativ, männerdominiert. Ihre Sonderstellung bekam Marie Gérard im Händlerverbund InterCaravaning zu spüren. „40 Teilnehmer, zwei Frauen – da fällt man auf und muss gegen Vorurteile kämpfen. Das Coaching der Rid Stiftung hat mir geholfen, mich zu behaupten.“

Prof. Heike Schinnenburg hat die Entwicklung ihrer Seminarteilnehmerin verfolgt. „Marie Gérard ist eine Vorzeigeunternehmerin und ein echtes Rollenvorbild. Sie hat sich in einer Männerdomäne durchgesetzt, ohne ihre Herzlichkeit zu verlieren.“

Mit strategischem Weitblick in die Zukunft
Seit Marie Gérards Start 2016 hat sich der Umsatz verdreifacht, die Verkaufszahlen stimmen. Die Branche indes kämpft mit den Folgen eines ungesunden Booms. Als Camping während der Pandemie zum Hype wurde, produzierten die Hersteller um die Wette. Die Händler erhöhten ihre Bestände um 50 Prozent und mehr. 2023 brach die Nachfrage ein, die Margen wurden kleiner, es gab Insolvenzen.

„Wir mussten nichts unter Wert verkaufen“, sagt Marie Gérard. „Aber momentan ist nicht abzusehen, wie sich Angebot und Nachfrage entwickeln.“ Man stehe an einem Wendepunkt. „Die Firma noch einmal neu erfinden“ sei die Aufgabe für die nächsten zwei Jahre. „Ich kann mir vorstellen, die Bereiche, die wir selbst steuern können, breiter aufzustellen.“ Dass sie Ideen konsequent umsetzen kann, zum Wohle des Betriebs − das hat Marie Gérard längst bewiesen.

Text: Rid Stiftung / Anita Güpping, Fotos: Jan Schmiedel