Episode 18 – Kaffeemanufaktur Würzburg: Kaffeebohnen, Kunden und Kennzahlen
April 2025 – Die Günther Rid Stiftung für den bayerischen Einzelhandel stellt die 18. von vielen bayerischen Erfolgsgeschichten vor. Dieses Mal im Fokus: Kaffeebohnen, Kunden und Kennzahlen – Carina Schneider und die Übernahme der Kaffeemanufaktur Würzburg
Leidenschaft für den guten Geschmack
Die Kaffeemanufaktur Würzburg empfängt einen mit betörendem Kaffeeduft. Der Blick fällt auf offene Jutesäcke mit Rohkaffee, neben dem Eingang steht ein imposanter Röster. 15 Kilo Bohnen kann er in traditioneller Trommelröstung verarbeiten. Daneben steht Carina Schneider, das strahlende Lächeln der Inhaberin und Kaffee-Expertin steckt sofort an. „Jede Sorte hat ihren eigenen Charakter“, erklärt sie. „Wenn die Bohnen frisch aus dem Röster kommen, zeigt sich, ob wir unsere Hausaufgaben bei der Auswahl des Rohkaffees, der Wahl des Röstprofils und des Röstvorgangs gemacht haben.“
Sie weiß, wem sie es zu verdanken hat, dass sie heute ein eigenes Geschäft führt: ihrer Vorgängerin und ehemaligen Chefin Andrea Werner − und einer mutigen Entscheidung.

Eine Problemlöserin zur rechten Zeit
Als die Würzburgerin im Dezember 2019 ihren ersten Arbeitstag in der Kaffeemanufaktur antritt, ahnt sie noch nichts von ihrem Karrieresprung. Ebenso wenig kann sie die Schockwelle voraussehen, die bald die gesamte Wirtschaft erfassen wird, ausgelöst durch einen Virus, mit harten Folgen für den stationären Handel. Als letzte Mitarbeiterin, die vor der Corona-Pandemie eingestellt wurde, hätte Carina Schneider zu diesem Zeitpunkt allen Grund, sich um ihren Job zu sorgen. Stattdessen bringt sie Ideen ein, optimiert interne Prozesse und hilft bei den täglich steigenden Onlineshop-Bestellungen. „Unser starker Kundenstamm und der Webshop haben uns durch die schwierigen Zeiten getragen“, erklärt sie rückblickend. Die Entwicklung des Onlinegeschäfts, das heute rund 13 % des Umsatzes generiert, entpuppt sich als Wachstumsmotor; Kaffee-Abonnements, Tee, Kakao und Zubehör laufen hier mit.
Von der Sommelière zur Kaffee-Spezialistin
Nach dem Abitur studiert Carina Schneider an einer niederländischen Hochschule Equine, Sports and Business, kurz: Pferdemanagement. Zurück in ihrer fränkischen Heimat, schlägt sie eine andere Richtung ein. Sie bewirbt sich bei einem Winzer und lässt sich an der IHK Würzburg zur Sommelière ausbilden. Weil ihr Vorkenntnisse fehlen, legt sie sich umso mehr ins Zeug, entdeckt ihre Stärke in der sensorischen Analyse, die mehr verlangt als einen feinen Geschmacks- und Geruchssinn. Wein-Verkostungen, Wein-Messen besuchen, Menschen bei der Auswahl beraten, den Online-Shop pflegen – das ist jetzt ihre Welt. „Doch irgendwann war eine persönliche Revision nötig“, stellt Carina Schneider fest. Nach vier Jahren verlässt sie die Branche, geht auf Reisen und entdeckt am anderen Ende der Welt eine neue Leidenschaft: die Geschmacksvielfalt von Kaffee. Man hört die Begeisterung in ihren Worten. „In Melbourne habe ich alle kleinen Spezialitäten-Cafés besucht. Dass Kaffee so komplex sein kann wie Wein, hat mir die Augen geöffnet.“ Noch in Australien schreibt sie eine Bewerbung an die Kaffeemanufaktur Würzburg. Direkt nach ihrer Rückkehr fängt sie an, als Quereinsteigerin wie die meisten ihrer Kolleg*innen. „Vom ersten Tag an hatte ich unfassbaren Spaß an dem Job.“

Eine neue Karrierechance tut sich auf
Als ihr Andrea Werner eines Tages erklärt, sie müsse ihre Nachfolge regeln, ihre Kinder würden das Geschäft nicht weiterführen, beginnt es in Carina Schneider zu arbeiten. „Ich wollte mich schon immer selbständig machen“, erzählt sie. „Da hat mir Andrea das Förderprogramm der Rid Stiftung hingelegt, ob ich mir das vorstellen könnte. Mir war klar, ohne Hilfe würde ich das nicht schaffen, in der Krisenzeit die Firma übernehmen, mit einem Team von 14 Leuten.“
Sie entdeckt eine Förderung, die ideal erscheint: „Unternehmensführung im Handel“. Das zweijährige Qualifizierungsprogramm ist das Herzstück des Stiftungsangebots, die Hälfte der geförderten Projekte sind Unternehmensnachfolgen. Sie bewirbt sich, verfasst Motivationsschreiben, präsentiert sich in Auswahlgesprächen. „Carina wollte nicht nur ein Geschäft übernehmen, sondern daraus ein nachhaltiges Modell entwickeln“, erinnert sich Prof. Dr. Dirk Funck, der das Qualifizierungsprogramm leitet. „Sie dachte in Werten wie Genusskultur, Handwerk und Kundennähe.“ Die Würzburgerin wird in das Programm aufgenommen. „Unternehmensnachfolgen außerhalb der Familie sind risikobehafteter“, weiß Prof. Funck. „Aber wir waren begeistert von ihrer Energie, die Rahmenbedingungen stimmten und wir sahen, hier können wir gezielt helfen.“ Dass ihr beruflicher Weg alles andere als geradlinig verlief, sprach nicht gegen eine Förderung, im Gegenteil.
Qualifiziert für die Rolle als Unternehmensleiterin
Während des zweijährigen Coachings kommen unzählige Entscheidungen und herausfordernde Aufgaben auf Carina Schneider zu. Die auslaufenden Mietverträge müssen neu verhandelt werden. Ein Finanzierungskonzept soll die Investitionsfähigkeit der Firma untermauern. Und Carina Schneider möchte interne Strukturen optimieren. Die Inhalte des Qualifizierungsprogramms saugt sie auf: Unternehmensstrategie und
-steuerung, Online-Marketing im Handel, Digitalisierung, Arbeitsrecht – doch zuallererst Betriebswirtschaft inklusive Kennzahlen! Wie man sie analysiert und bewertet, wie man Jahresabschlüsse liest. Zwar passt der Umsatz, doch die Ertragslage könnte besser sein. „Jede Zahl erzählt eine Geschichte“, weiß die Unternehmerin heute. „Ich habe verstanden, dass Kennzahlen mein tägliches Handeln ausdrücken.“ Mit dem Werkzeugkasten der Weiterbildung der Rid Stiftung kann sie praxisbezogen lernen, dazu profitiert sie vom Austausch mit den anderen Teilnehmer*innen.
Plötzlich die Geschicke des Unternehmens zu leiten, ist die eine Sache. Doch wie führt man ehemalige Kolleg*innen? „Mit Harmonie allein ist noch kein Problem gelöst“, ist ein Learning. Gut, dass sie auch Fragen der Personalführung im Coaching bearbeiten kann. Prof. Funck sieht die Entscheidung der Rid Stiftung bestätigt: „Carina hat sich die Übernahme zugetraut. Sie liebt, was sie tut. Sie hat Mut, kämpft sich aus der Komfortzone, scheut keine Veränderungen – das charakterisiert eine Gründerin.“ Carina Schneider wächst erfolgreich in die Rolle hinein, mit Herzlichkeit, Glaubwürdigkeit und der Rückendeckung ihres Teams. „Alle Kolleginnen und Kollegen sind geblieben“, erzählt sie. „Ich bin stolz und dankbar, dass wir diese intensive Phase gemeinsam bewältigt haben.“ Im Juli 2022 wird schließlich der Unternehmenskauf besiegelt. Carina Schneider freut sich noch heute, dass es geklappt hat: „Die Rid Stiftung hat mir einen Vertrauensvorschuss gegeben, die Unterlagen des Coachings ziehe ich noch heute bei wichtigen Vorgängen zurate.“
Talente für ein einzigartiges Geschmackserlebnis
Qualität und Beratung sind die wichtigen Säulen des Erfolgs. Jedes Jahr röstet die Kaffeemanufaktur 30 Tonnen Kaffee – in kleinen Chargen, immer frisch, um höchste Güte zu garantieren. Das Ergebnis, das in der Tasse landet, entsteht durch die Teamarbeit verschiedener Expert*innen. „Unser Röstmeister Alberto Jandl erkennt den perfekten Röstpunkt, die Kunst des Baristas bringt das Aroma dann voll zur Geltung“, erklärt Carina Schneider.

Aktuell stehen 24 Kaffees aus 12 Ländern und sechs Espressi mit individuellem Röstprofil in den Regalen, viele davon bio-zertifiziert. Die Kaffeespezialistin kennt sie alle. „Kaffee aus Äthiopien hat florale Noten, einen Hauch von Bergamotte und eine feine, elegante Säure, die an Schwarztee erinnert. Kaffee aus Guatemala ist leicht und schokoladig, perfekt für den Start in den Tag. Unser vietnamesischer Canephora-Robusta hat von Natur aus viel Koffein und eine bittere Note, doch ich kann über die Röstung und Zubereitung Geschmackskomponenten wie Rosinen oder Honig herausholen.“ Mit diesem Wissen holt sie Kund*innen ab, fragt nach Gewohnheiten, erkennt Vorlieben. Freundlich und kompetent beraten auch die Fachkräfte hinter der Theke.

Ein Erlebnisort für alle Sinne und den Kopf
Nach der Übernahme entwickelt Carina Schneider die Manufaktur stetig weiter. Sie baut auf ein Sortiment mit anderen Genussprodukten: Tee, Schaumweine, handgeschöpfte Schokolade und Feinkost. „Wir wollen unseren Kunden eine Auswahl bieten, die verschiedene Geschmackswelten verbindet. Ein Tee aus Japan, eine zartbittere Schokolade aus Ecuador oder ein prickelnder Winzersekt aus Franken – jedes Produkt bietet eine einzigartige, sensorische Erfahrung.“
Carina Schneider hat zudem den Markenauftritt sanft modernisiert. Die Corporate Identity ist neu, die Arbeit mit Personas steht für neue Wege im Marketing, zu den klassischen Kanälen wie Print und Radio wird verstärkt auf Newsletter, Online-Marketing sowie Social Media gesetzt. Inzwischen ist auch die entsprechende Marketing-Fachkraft an Bord, um die Manufaktur und ihr ausgezeichnetes Handwerk wirksam zu inszenieren.

Im Bereich Kundenbindung probiert Carina Schneider ebenfalls Neues aus. In der Cafébar können Kund*innen verschiedene Sorten probieren und die perfekte Röstung für sich entdecken. Wissen und Events gehören mittlerweile zum festen Angebot. Ob Kaffee-Basisseminar, Espresso-Workshop für Siebträgerkunden, Latte-Art oder Brewing-Kurse – die dreistündigen Workshops im offenen Kaffeelager sind regelmäßig ausgebucht.

Mit fairem Genuss und Verantwortung in die Zukunft
Im Einkauf setzt Carina Schneider konsequent auf Direktbezug. Projekte wie die „Future Coffee Farm“ des Produzenten Mr. Toi in Vietnam zeigen, dass ihr nachhaltige, faire Partnerschaften wichtiger sind als große Siegel. „Wir wollen wissen, wer hinter unserem Kaffee steht, und mit den Menschen wachsen, die ihn anbauen.“ Um zu erfahren, wie sie Nachhaltigkeit, soziale Verantwortung und gute Unternehmensführung noch enger verzahnen kann, besucht die Unternehmerin das Managementseminar „ESG für nachhaltigen Erfolg“ der Rid Stiftung. Sie nimmt einige Projektkaffees neu ins Sortiment auf, um Partner im Ursprungsland direkt zu unterstützen. Auf ihren Reisen nach Peru und Vietnam geht sie mit den Produzenten in direkten Austausch: „Das ist entscheidend für den fairen Kaffeehandel“.

Auch intern setzt Carina Schneider auf eine klare, werteorientierte Strategie, mit Mitarbeiterschulungen bei Rösterkolleg*innen in ganz Deutschland, einer offenen Fehlerkultur und Stärkung des Teamgeists. Viele der 14 Angestellten sind seit Jahren, manche seit der Gründung im Jahr 2003 dabei. „Wir lernen gemeinsam, geben uns Feedback und wachsen miteinander.“
Ein Unternehmen mit Seele
Die Kaffeemanufaktur hat sich unter Carina Schneider verändert, ist weitaus mehr als ein Einzelhandel mit Kaffeebar. Sie bringt Menschen zusammen, die ihre Leidenschaft für guten Kaffee teilen und den Austausch suchen. „Unsere Kunden sind Teil unserer Geschichte. Von vielen kennen wir die Namen, ihre persönlichen Geschichten. Viele haben ihren Lieblingsbarista, zu unserem 22-jährigen Jubiläum 2025 haben uns viele Blumen gebracht“, berichtet Schneider glücklich. Und wenn sie betont: „Menschen sind mein Schatz, ob Lieferanten, Mitarbeiter oder Kunden“, nimmt man ihr das voll ab. Der gemeinsame Kaffeegenuss als Sozialkitt – in heutigen Zeiten ist es geradezu tröstlich, dass es so besondere Orte wie die Kaffeemanufaktur Würzburg gibt.

Text: Rid Stiftung / Anita Güpping, Fotos: Jan Schmiedel