Episode 14 – Das „Modehaus Ganzbeck“: Kundenkontakt so viel wie möglich – online so viel wie nötig.

Juni 2023 – Die Günther Rid Stiftung für den bayerischen Einzelhandel stellt die 14. von vielen bayerischen Erfolgsgeschichten vor. Wir führen unsere Serie "Erfolgsgeschichten aus dem bayerischen Einzelhandel" fort - mit Manuela und Andreas Ganzbeck, dem Führungsduo des Modehauses Ganzbeck in Neuötting.

Führen das „Modehaus Ganzbeck“ in Neuötting in siebter Generation: Manuela und Andreas Ganzbeck. Foto: Rid Stiftung / Jan Schmiedel
Führen das „Modehaus Ganzbeck“ in Neuötting in siebter Generation: Manuela und Andreas Ganzbeck. Foto: Rid Stiftung / Jan Schmiedel

Erfrischend anders der Ganzbeck: Die Mode, die Menschen, das Geschäft! So lässt sich das seit sieben Generationen bestehende „Modehaus Ganzbeck“ in Neuötting beschreiben. Die ungewöhnliche Strategie dahinter: So wenig online wie möglich, aber so viel wie nötig. Kundenbindung, Individualität und exklusive Beratung stehen hier an erster Stelle. Während viele Unternehmen heute – gerade auch in der Textilbranche – stark auf den Online-Handel setzen und entsprechende Strukturen im Netz kräftig vorantreiben, kultiviert das 1780 gegründete Textil-Kaufhaus im Herzen der Stadt Bewährtes: „Der Mensch steht bei uns im Mittelpunkt.“
Schwimmen die Inhaber Andreas und Manuela Ganzbeck mit ihrem Geschäftsmodell damit gegen den Strom? Keineswegs. „Wir beobachten in der Modewelt schon seit Längerem den Trend, wirklich wieder die Wünsche der Kundinnen und Kunden zum Ausgangspunkt einer Strategie zu machen. Wir tun dies seit jeher mit größtmöglicher Nähe und bestem Service“, bringt es der 59-jährige, studierte Betriebswirt auf den Punkt. Ein Konzept, das aufgeht. Von weither kommen die Kund*innen nach Neuötting. Was kann das Modehaus Ganzbeck besonders gut, womit andere, auch Branchenriesen, zu kämpfen haben?

Tolles Ambiente und beste Vor-Ort-Beratung statt Online-Shopping.  Foto: Rid Stiftung / Jan Schmiedel
Tolles Ambiente und beste Vor-Ort-Beratung statt Online-Shopping. Foto: Rid Stiftung / Jan Schmiedel

Im Grunde ist die Richtung vorgegeben. Stoffe – das bedeutet Sinnlichkeit. Wer mit einer neuen Jeans oder einer Bluse oder einem Hemd liebäugelt, wer sich für den Winter mit neuen Pullovern eindecken will oder T-Shirts und kurze Hosen für die Sommersaison sucht, wer eine Hochzeit plant oder vorhat, den Nachwuchs mit passender Bekleidung für die anstehende Kommunion auszustatten, der möchte vor allem eines: das, wofür er sein Geld ausgibt, sehen, fühlen, an- und ausprobieren. Und sich dabei von fachkundigem Mitarbeiter*innen beraten lassen. Mit anderen Worten: Man muss vor Ort sein, um etwas zu erleben – und das geht eben nicht genauso am Bildschirm, abgeschirmt in den eigenen vier Wänden – so fortschrittlich das Online-Shopping mittlerweile auch ist.

„Was, wenn es dann doch nicht das Richtige war?“, fragt die diplomierte Wirtschaftsingenieurin Manuela Ganzbeck. „Was, wenn es dann doch nicht gefällt?“ Dann landet die Ware wieder im Paket und wird zurückgeschickt. Frustrierend – sowohl für die Kund*innen als auch für das Geschäft, in dem die Bestellung aufgegeben wurde. 60 Prozent beträgt in Deutschland die Retourenquote – eine erschreckend hohe Zahl, eine, die für sich spricht und für das Ehepaar keine Verkaufsstrategie ist: „So verdient man kein Geld. Und die Kundschaft ist enttäuscht und verärgert.“ Das „Modehaus Ganzbeck“ in Neuötting geht seit jeher einen anderen Weg.

 

Herzstück des Gesamtkomplexes am Stadtplatz in Neuötting ist nicht etwa das Stammhaus oder das vor zehn Jahren ausgelagerte „vis à vis“, das neue Geschäft mit Kinderbekleidung, Bademoden, Wäsche und Dessous – sondern das Herzstück sind die 65 Mitarbeiter*innen, die das Unternehmerehepaar derzeit beschäftigt. Das „Tafelsilber“ seien sie, schwärmt Andreas Ganzbeck, „ohne sie geht es nicht und kann es auch nicht gehen“. Sind es doch sie, die die Kunden und Kundinnen in den Abteilungen empfangen, die die Bekleidungswünsche verstehen und die aus dem Sortiment die passenden Stücke auswählen. Sie warten auch gern vor den Umkleidekabinen, prüfen dann das Hemd oder die Hose auf ihre Pass- und Schnittform am Körper und kommen mit den potenziellen Käufer*innen dabei ins Gespräch. Hier kann nur Präsenz das Gebot der Stunde lauten – und das bedeutet: sich in die Wünsche der Kunden und Kundinnen einfühlen. „Es gibt viele Kunden, die Passgenauigkeit schwer beurteilen können, die sich mit vielen modischen Fragen alleine überfordert fühlen und die eine professionelle Beratung daher sehr schätzen“, weiß Manuela Ganzbeck.

Das Herzstück des Hauses – die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, hier Martina Klomfar, die in der Herrenabteilung berät.  Foto: Rid Stiftung / Jan Schmiedel
Das Herzstück des Hauses – die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, hier Martina Klomfar, die in der Herrenabteilung berät. Foto: Rid Stiftung / Jan Schmiedel

Ist ein Online-Shop ein gleichwertiger Ersatz? Die Antwort auf diese Frage lautet: nein. Das haben die Ganzbecks verinnerlicht. Das ist Teil ihres Geschäftsmodells. Erfrischend einfach und klar und von einer Eindrücklichkeit, die hier im Hause nicht von der Hand zu weisen ist. Ohne Menschen und ihren direkten Kontakt geht es bei den Ganzbecks nicht. Natürlich hat das Haus der Online-Welt keineswegs den Rücken gekehrt – im Gegenteil: Auf sozialen Kanälen wie Facebook und Instagram ist es aktiv, postet regelmäßig die unterschiedlichsten Aktionen des Hauses sowie Informationen über die modischen Highlights der Saison. Auch viele Daten werden im Hintergrund analysiert und beispielsweise mit einem Frequenzzähler die Conversion Rate erhoben. Nur Online-Shopping spielt hier im Hause keine Rolle.

Die beiden Koordinaten des Hauses Ganzbeck:
Sortimentsoptimierung und kundengerechte Kollektionspräsentationen

Nicht einfach hingegen ist die konkrete Umsetzung dieser Strategie. Hierfür braucht es umfängliches Know-how. Und alle Kräfte müssen gebündelt werden, alle müssen an einem Strang ziehen, um die Kundenwünsche bestmöglich zu erfüllen und am Ende eines Verkaufstages sagen zu können: Heute lief es wieder richtig gut, heute haben wieder viele Kunden und Kundinnen das Haus mit glücklichen Gesichtern und unseren Einkaufstüten in der Hand verlassen. Um dies zu erreichen, orientiert man sich an zwei Koordinaten. Die eine lautet: Weg von den einzelnen Shops der Lieferanten im Haus, die andere: das gekonnte Präsentieren von ganzen Kollektionen. Nach Überzeugung der Ganzbecks hat Mode immer auch mit Stilfragen und daher mit Kombinationsmöglichkeiten zu tun. Es geht nicht nur um ein einzelnes Stück, sondern um eine passgenaue Zusammenstellung. Die Zeiten, in denen jemand ein Bekleidungsgeschäft betrat, um nur eine Jeans zu kaufen oder ein Paar Schuhe, gehören mehr oder weniger der Vergangenheit an. „Natürlich gibt es das noch, aber viele Kunden und Kundinnen wünschen sich weit mehr: eine Farb- und Stil-, oder eine Typ- und Imageberatung zum Beispiel.“ Eben diese Wünsche „auf 360 Grad in einer Wohlfühlatmosphäre zu durchleuchten“, wie es der Firmeninhaber ausdrückt, darum dreht sich das Einkaufserlebnis heute. Was für den Freizeitbereich zutrifft, gilt für anlassbezogene Einkäufe wie Hochzeiten oder Kommunion in besonderem Maße.

Der Service, den das Haus anbietet, umfasst dabei „Personal Shopping“, „Geburtstagsshopping“, eine Änderungsschneiderei und das weite Feld der individuellen Typberatung. So ist es etwa möglich, eine Vorauswahl nach eigenem Geschmack zusammenstellen zu lassen und eine exklusive Beratung bei Sekt und Häppchen zu genießen, aber auch entspanntes Stöbern ist möglich und ein Besuch im hauseigenen Bistro mit Bio-Spezialitäten lohnt sich immer.

 

MODEHAUS GANZBECK IN ZAHLEN & FAKTEN

Das „Modehaus Ganzbeck“ in Neuötting zählt zu den ältesten und traditionsreichsten Modehäusern in ganz Deutschland. Auf insgesamt 3.000 Quadratmetern bietet es eine umfassende Auswahl an Bekleidung für Damen, Herren und Kinder. Meilensteine des 1780 von Jakob Kirnberger gegründeten Geschäftes – damals vergleichbar einem Gemischtwarenladen – werden vor allem durch Umbau- und Modernisierungsmaßnahmen markiert.

1901 ging man an den ersten großen Umbau und erweiterte die Geschäftsräume.
1968 vergrößert sich das Haus, auf 800 Quadratmeter.
1976 waren es bereits 1.040, weitere Umbauten fanden zwischen 1984 und 1996 statt.
In den späten 90er Jahren eröffnet eine Filiale in Burghausen, der bisher größte Umbau erfolgte 2006: Mit diesem Großprojekt ist es gelungen, alle Häuser barrierefrei zu verbinden, das Haus neu zu erschließen und sowohl im Erd- als auch im ersten Obergeschoss große, durchgängige Verkaufsflächen zu gestalten.
2013 kam das Geschäft schräg gegenüber hinzu, zu Beginn 2023 wurden Teile der Verkaufsflächen noch einmal umgestaltet und mit vielen Deko-Elementen als Blickfang versehen.

Das Unternehmen beschäftigt derzeit 65 Mitarbeiter*innen. Für seine Kundennähe und sein Erfolgsmodell wurde es mehrfach mit Preisen ausgezeichnet, darunter vom Handelsverband Bayern und von der Aktion „Freundliches Neuötting“.

Wo Spezialisten gefragt sind, bedarf es laufender, intensiver Schulungen. Seit mehr als zehn Jahren trainiert das „Modehaus Ganzbeck“ deswegen intern wie extern zu Sortiments- und Servicethemen, zu Führung und Motivation, zu Kundenbindung und Social Media – und das regelmäßig, alle zwei Wochen. „Was das Zeug hält“, übe man da, schildert Andreas Ganzbeck nicht ohne Stolz. Das Ergebnis: „Alle haben bei uns mit Begeisterung ihr Potenzial auch laufend weiterentwickelt, wertvolle Tipps erhalten und sind auf jede Situation vorbereitet.“ Dabei weiß Ganzbeck, wie schwierig es ist, „365 Tage im Jahr gut drauf zu sein“. Konflikte, Krisen, gesundheitliche Probleme: Niemand ist davor gefeit. Die Arbeitswelt aber verlangt Höchstleistung und ständiges Funktionieren. Er selbst versuche, seinen Angestellten, wo es geht, entgegenzukommen. Eine Win-Win-Situation, denn wenn sich die Belegschaft gut aufgehoben fühlt, fühlen sich auch die Kunden und Kundinnen wohl, ebenso der Chef und die Chefin und das Unternehmen floriert als Ganzes. Sich für Menschen zu engagieren, ist nicht mit Gold aufzuwiegen. Auch das ist ein Credo des Modehauses Ganzbeck in Neuötting. Investiert wird da-her bei der Ladengestaltung vor allem in die Wohlfühlatmosphäre. Erst vor kurzem wurde das Stammhaus komplett umgebaut und mit einem großzügigen Treppenaufgang mit einer Blumenwand als Blickfang ausgestattet. Den Kund*innen soll es hier gefallen und richtig gut gehen, während sie durch die Verkaufsräume schlendern, denn Sinnlichkeit lebt von den Stoffen, dem lebendigen Ambiente und von der Freundlichkeit in diesem Modehaus.

Erleben mit allen Sinnen, auch im hauseigenen Bistro: So wünschen es sich die Kunden und Kundinnen. Foto: Rid Stiftung / Jan Schmiedel
Erleben mit allen Sinnen, auch im hauseigenen Bistro: So wünschen es sich die Kunden und Kundinnen. Foto: Rid Stiftung / Jan Schmiedel

Die Kunden und Kundinnen sollen zudem leicht finden, was sie suchen, regelrecht ins Auge springen soll die Ware. Womit die zweite Koordinate angesprochen ist, die die Nadel am Kompass des Hauses ausrichtet: das zielsichere Präsentieren der Ware. Der Nützlichkeitsgedanke hat Vorrang. Vorbei sind im Hause Ganzbeck die Zeiten, in denen das Sortiment an Marken gebunden präsentiert wurde und die jeweiligen Hersteller, wie in vielen Textilkaufhäusern, ihre eigenen Abteilungen hatten. Bis ehedem hatte das Haus noch mehrere solcher sogenannten „Shops in Shop“, heute sind es nur noch wenige. Sie zu führen, sei nicht mehr zeitgemäß und enge die Kund*innen zu stark ein, schildert Andreas Ganzbeck: „Das System ist einfach zu starr, es funktioniert heute nicht mehr.“ Kund*innen, die ihr Augenmerk nur auf eine bestimmte Marke richten, seien in der Minderheit. Wer beispielsweise nach einer passgenauen Jeans sucht und „skinny“ statt „regular fit“ haben möchte, der findet im Untergeschoss des Hauses leicht die entsprechenden Regale – unabhängig davon, ob die Hersteller nun Levis, Pepe oder G-Star heißen. Und schicke Anzüge gibt es auch in Hülle und Fülle und werden markenunabhängig präsentiert. Hier lässt der Firmeninhaber seine ganze Beratungskompetenz spielen. Unsere Kunden und Kundinnen kommen von weither, sogar aus Vorarlberg in Österreich“, freut sich Ganzbeck. Auch professionelle Kundenbindung wird im Haus seit vielen Jahren über ein CRM-System (Customer Relationship Management) effizient genutzt.

Ein Grund für den Erfolg der Kundenbindung des Hauses: die Kundenkarte, bereits 1991 eingeführt. Foto: Rid Stiftung / Jan Schmiedel

Vor 32 Jahren, 1991, hat das Modehaus die Kundenkarte, inzwischen „Vorzugskarte“ genannt, bereits ins Leben gerufen und damit die Möglichkeit geschaffen, ihrem Besitzer Privilegien anzubieten – etwa einen Bonusgutschein in Höhe von drei Prozent bei einem Jahresumsatz von 500 Euro. Informationen, gespeichert im Scheckkartenformat – heute üblich, damals eine echte Innovation. Der Grundstein für den anhaltenden Erfolg war gelegt. Natürlich musste sich das Haus auch das nötige Wissen für die erfolgreiche Weiterentwicklung immer wieder aneignen. Hilfreich waren für die Ganzbecks die Seminare der Günther Rid Stiftung für den bayerischen Einzelhandel. 2019 haben sie am Tegernsee an dem Rid Coachingprogramm „Qualitätsoffensive“, das von der BBE Handelsberatung durchgeführt wurde, teilgenommen. Echtes Handwerkszeug wurde dort vermittelt, um ihre Firma weiter zukunftsfähig zu machen. Andreas Ganzbeck möchte die Zeit nicht missen: „Da habe ich ganz wertvolle Erfahrungen gesammelt. Wir stünden heute nicht so da, wie wir es tun.“ Die Kombination aus Analytik, wirtschaftlichem und modischem Verständnis sowie konsequenter Kundenorientierung ist das Geheimnis des Erfolgs des Modehauses Ganzbeck in Neuötting. Resultat: Der Betrieb steht heute wirtschaftlich glänzend da und ist auch sonst ein absoluter Vorzeigebetrieb.

Text: Rid Stiftung / Rafael Sala