Episode 16 – Die „Urban Gardeners" erforschen im Rahmen des Förderformats „Future Retail Store" den Nutzen von KI und 3D-Druck
Die Günther Rid Stiftung für den bayerischen Einzelhandel stellt die 16. von vielen bayerischen Erfolgsgeschichten vor. Wir führen unsere Serie „Erfolgsgeschichten aus dem bayerischen Einzelhandel" fort – mit „Urban Gardeners“, die im Rahmen des Förderformats „Future Retail Store“ den Nutzen von KI und 3D-Druck am Point of Sale erforschen.
Ein Ladenlokal im Münchner Rathaus. Davon träumt so mancher Einzelhändler. Die Chance im Herzen Münchens ein Geschäft zu eröffnen, erhielten die Brüder Jakob und Valentin Kiefl. Eine Lage mit mehr Frequenz gibt es fast nicht! Und wie es sich für die fünfte Generation der Gärtnerei Kiefl aus Buchendorf gehört: haben sie ein Gartencenter eröffnet. Das Konzept „Urban Gardeners“ wurde von der Rid Stiftung für das Förderformat „Future Retail Store“ ausgewählt. Mit dem Format unterstützt die Rid Stiftung Geschäftsmodelle, die innovative Technologien und Dienstleistungen an den Point of Sale bringt, sie testet und weiterentwickelt. Mit an Bord bei den „Urban Gardeners“: ein KI-Chatbot, 3D-Drucker, eine Co-Creation-Fläche und vieles mehr. Eine Gründergeschichte im Zeitraffer.
Pflanzen sind lebendige Wesen. Manche sind empfindlich, manche robust. „Die größte Angst unserer Kunden ist, dass ihre Pflanze stirbt. 50 Prozent rechnen damit, dass sie nicht lange lebt. Dabei kann sie Jahrzehnte alt werden“, sagt Jakob Kiefl. Doch dazu braucht es Wissen, etwa zum richtigen Standort und zur Pflege. Wie kann man eine Zielgruppe, die Pflanzen nach ihrem Aussehen kauft, besser beraten, zumal wenn zunehmend Fachkräfte fehlen? Jakob und Valentin Kiefl sind überzeugt: Künstliche Intelligenz kann ein Schlüssel in der Kundenberatung der Zukunft sein. Der Name ihres helfenden Superhirns: „Plantfinder“.
Valentin und Jakob Kiefl stammen aus einer Gärtnerfamilie. Ihre Eltern Carola und Wolfgang Kiefl führen in Buchendorf bei München ein Gartencenter in fünfter Generation.Die Brüder sind bereits in der Geschäftsführung tätig. Der 28-jährige Valentin hat BWL und Medieninformatik studiert. Schon während des Studiums arbeitet er in einer Webagentur in Salzburg, danach in Frankfurt bei einer Bank als Softwareentwickler. Jakob, 23, studiert berufsbegleitend KMU-Management und Entrepreneurship. Sein Gartenbau-Studium hat er nach vier Semestern beendet. Schon länger denken die beiden über das Thema Künstliche Intelligenz in der Pflanzenberatung nach, hatten aber konkret noch keine Schritte unternommen. Da legt ihnen ihr Vater Wolfgang die Ausschreibung für das neue Förderformat „Future Retail Store“ der Rid Stiftung auf den Tisch.
Ein Experimentierraum für Händler*innen in Bayern
Mit dem „Future Retail Store“ stellt die Rid Stiftung bayerischen Einzelhändler*innen Ladenflächen als Experimentierraum zur Verfügung. Innovative Geschäftsmodelle und digitale Technologien können in einer realen Geschäftssituation, mit realen Kundinnen und Kunden erprobt werden. Die Rid Stiftung unterstützt bei der Konzeptausarbeitung sowie der wissenschaftlichen Begleitung und übernimmt die Investitions- und Experimentierkosten. Als Umsetzungspartner hat sich die Rid Stiftung für das Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen IIS aus Nürnberg entschieden. Nun agieren die Partner als ausgelagerte Forschungs- und Entwicklungsabteilung des Einzelhandels. Die Erkenntnisse aus dem „Future Retail Store“ werden mit anderen Einzelhändler*innen laufend geteilt.
Jakob und Valentin Kiefl bewerben sich mit dem Geschäftskonzept „Urban Gardeners“. Dieses beinhaltet den Einsatz des KIChatbots „Plantfinder“ und das Fertigen von Übertöpfen und Vasen mittels 3D-Druckern. In einem mehrstufigen Auswahlverfahren überzeugen sie die Jury. Ihr Konzept erfüllt die geforderten Kriterien: hoher Innovations- und Digitalisierungsgrad sowie Umsetzbarkeit und Übertragbarkeit auf andere Branchen. Schließlich erhalten sie den Zuschlag, die 600 Quadratmeter große Ladenfläche im Münchner Rathaus für sechs Monate zu mieten. Die Zwischennutzung durch einen Einzelhändler hat die Rid Stiftung ermöglicht. Vermieter ist die Stadt München über das Kompetenzteam Kultur- und Kreativwirtschaft, die die Räume zu günstigen Konditionen zur Verfügung stellt.
Jeden Tag dem Ziel ein Stück näher
Bis zur Eröffnung bleiben den Kiefls nur noch wenige Wochen. Jakob und Valentin gründen die Urban Gardeners GmbH und übernehmen fortan vielfältige Aufgaben: vom Betrieb des Gartencenters über die Entwicklung des KI-Chatbots bis zum Community Management. Valentin beginnt mit der Programmierung des Plantfinders und richtet eine Schnittstelle zu ChatGPT ein. Alle Pflanzen werden fotografiert, die wichtigsten Eigenschaften wie Standort und Pflege werden jeder Pflanze zugeordnet. Diese von Gärtnern geprüften Daten werden wiederum eingepflegt und bilden den Grundbaustein des Plantfinders. Am Display gibt der Kunde den Standort der gewünschten Pflanze und seine Wohnbedingungen ein. Auch eine Selbsteinschätzung zum „grünen Daumen“ wird abgefragt. Anschließend schlägt der Plantfinder eine Pflanze vor. Zu dieser Pflanze kann der Kunde wiederum Fragen an die KI stellen, die ChatGPT beantwortet. Hat sich der Kunde entschieden, sagt ihm der Plantfinder, wo er die Pflanze im Geschäft finden kann, oder weist ihm den Weg zum Online-Shop. Ein sekundenschneller Prozess, der viele Programmierschritte erforderte.
Auch Erklär- und Imagevideos werden gedreht. „An einem Tag haben wir mehr als 40 Videos gedreht“, sagt Jakob. Ein erstes Reel wird über das Instagram-Profil @urban.gardeners.muc geteilt. In diesem kurzen Video stellen sich die „Urban Gardeners“ vor, erklären, was sie vorhaben und dass man als Pflanzenliebhaber nicht viel Ahnung von Pflanzen haben muss. Der humoristische Höhepunkt: Valentin gurgelt das Gießwasser, bevor er die Pflanze gießt. Bewerberinnen und Bewerber kommen in Scharen: „Weil wir so transparent kommunizieren, hatten wir überhaupt keine Probleme Personal für den Laden zu finden“, erinnert sich Valentin.
Das Gartencenter Kiefl bestellt Ware und Möbel. Freunde und Verwandte helfen beim Streichen und beim Aufbauen. „Wir waren mehr als 20 Personen, Eltern, Cousinen, Cousins, Onkel, Tanten, Freunde und Freundinnen, alle die nicht gerade schwanger waren, haben geholfen“, sagt Valentin. Im Eingangsbereich ist Platz für saisonale Blumen und Zimmerpflanzen. Im Blickfeld befindet sich die Säule mit dem „Plantfinder“. Geradeaus geht es zum „Gardeners Coffee Club“. In der gemütlichen Cafébar können die Gäste täglich wechselnde Köstlichkeiten der Kiefl-Konditoren aus Buchendorf genießen. Das komplette Erdgeschoss erinner an einen urbanen Dschungel. In den Schaufenstern hängen dicht an dicht Blumenampeln, in den Regalen und auf dem Boden ein Meer von Pflanzen. Das Sortiment ist breit gefächert, passend zur urbanen Laufkundschaft. Vieles wird aber auch nach Coolness-Faktor geordert: Chrysanthemen, die eigentlich erst im Herbst Saison haben, Bananenstauden, Olivenbäumchen. „Wir akzeptieren nichts als fertiges System, wir machen einfach, lernen jeden Tag und zeigen das auch auf Instagram“, sagt Jakob Kiefl. Im Obergeschoss befinden sich die beiden 3D-Drucker, gegenüber eine Co-Creation-Fläche für die Interaktion mit Kunden sowie weitere Pflanzensortimente und Accessoires. Das Untergeschoss bietet Platz für Workshops. Hier gibt es auch einen Bereich, in dem die Videos für Social Media gedreht werden und eine Tischtennisplatte.
Die Evolution des Plantfinders
Das Herzstück des „Future Retail Store“, der „Plantfinder“, wird in einem iterativen Prozess kontinuierlich weiterentwickelt und durch das Fraunhofer Institut im Auftrag der Rid Stiftung wissenschaftlich begleitet. Mehrmals pro Woche führt das Team von Fraunhofer Interviews vor Ort durch. Kann das Tool die Beratung unterstützen? Wie kann es verbessert werden? Das Feedback wird umgesetzt und neu aufgetauchte Themen abgefragt. Unterstützt wird die Befragung durch ein Tracking-Tool im Laden. Es erlaubt Rückschlüsse auf die Positionierung der Screens, Besucherfrequenzen, Altersgruppen, Klickzahlen, und welche Features wie genutzt werden.
Martina Simon vom Fraunhofer Institut für Integrierte Schaltungen IIS ist von dieser neuartigen Form des Forschens begeistert: „Wir forschen nicht im Labor, sondern sammeln Erkenntnisse live vor Ort mit Kundinnen, Kunden und Belegschaft. Daraus lesen wir ein mögliches Übertragbarkeitspotenzial auf andere Branchen ab.“ Ein großer Verbesserungsschritt etwa war die Veränderung der Einstiegsseite des „Plantfinders“. Diese war noch nicht so intuitiv bedienbar wie gewünscht. Jetzt gliedert sie sich in die drei Funktionalitäten: eine passende Pflanze finden, das gesamte Sortiment einsehen oder die Expertenfunktion nutzen. Bei diesem Feature kann der Kunde Fragen in die Maschine sprechen und Chat-GPT antwortet live.
Service, Events und Rabattierung
Auch der 3D-Druck inspiriert die Kiefls und ihre Kundschaft neue Wege auszuloten. So können Kundinnen und Kunden passende Über- und Innentöpfe für ihre Pflanzen ordern. Die Kommunikation läuft dann in etwa so: „Haben Sie einen Topf im Durchmesser von 18,5 Zentimeter in Hellblau?“ „Nein, aber ich drucke ihn für Sie aus. Kommen Sie einfach in zwei Stunden wieder.“ Für wenige Euro erlebt der Kunde einen Service und eine technische Lösung, die maßgeschneidert zu seinen Bedürfnissen passt. Die Reaktion: Echtes Erstaunen. Auch im Co-Creation-Bereich fühlen sich die Kundinnen und Kunden angesprochen und wertgeschätzt. Hier können sie an einer großen Magnettafel Feedback geben. Abgefragt wurden die beliebteste Pflanzengröße, ein möglicher Lieferservice und die Handhabung des „Plantfinders“. „Wir möchten Kundinnen und Kunden einbinden, das Konzept der Urban Gardeners mitzugestalten“, sagt Valentin. Die enge Vernetzung mit den Kunden findet auch auf Instagram statt. Hier wird nach Anregungen gefragt und zu Events eingeladen. Bei „Techno & Tischtennis“ werden die Gewinner mit 10 Prozent Rabatt belohnt. Beim Workshop „Drink & Paint“ versammelt sich die täglich wachsende Community an einem langen Tisch und bemalt Leinwände mit Aquarellfarben – zum Unkostenpreis. Beide Events sind schnell ausgebucht.
Woher nehmen die Kiefls all die Energie für das sechsmonatige Powerplay? „Wir haben ein super Team und ohne Liana Hartmann, die fast unsere gesamte Social Media Kommunikation steuert, ginge es überhaupt nicht.“ Ansonsten stehen die Brüder praktisch permanent im Austausch, da sie zusammenwohnen, gemeinsam in den Urlaub fahren und für Triathlon und Marathon trainieren. Und natürlich setzt auch die Förderung Extrem-Energien frei: „Ein Geschäft direkt am Marienplatz und die Möglichkeit systematisch zu experimentieren, das ist einmalig“, sagt Valentin. Bereits nach wenigen Wochen machen auch die Zahlen Laune: Die Urban Gardeners erwirtschaften Gewinne.
Die nächsten Schritte
Bislang gelangen die Kundinnen und Kunden über den „Plantfinder“ und den QR-Code auf den Infokarten der Pflanzen auf die Website urban-gardeners.de. Dort können sie ihre Wunschpflanze online bestellen und nach Hause liefern lassen. Der „Plantfinder“ selbst wird ausschließlich im Laden und auf iPads der Beraterinnen und Berater bedient. In Zukunft soll er auch auf Smartphones laufen. Damit ihn die Community zur Hand hat, immer dann, wenn die Pflanze schwächelt, ein Schädling droht oder man sich beim Gießen verschluckt hat. Und was wird aus den „Urban Gardeners“, wenn sich die Türen am Marienplatz wieder schließen? „Wir werden sie als E-Commerce-Marke für das Gartencenter Kiefl in Buchendorf nutzen“, sind Valentin und Jakob überzeugt. Aber das ist eine andere Geschichte.
Text: Anita Güpping, Fotos: Jan Schmiedel